24 Mai Produktklassifizierung – Weshalb fordert mein Kunde ECLASS, UNSPSC oder ETIM?
Produktklassifizierung – Weshalb fordert mein Kunde ECLASS, UNSPSC oder ETIM?
Ein Gastbeitrag von E-Business-Experte Peter Prütting (WMB Unternehmensberatung)
Kennen Sie diese Situationen? Der eine Kunde möchte von Ihnen die Produktklassifizierung ECLASS in Version 5.1. Ein anderer wünscht sich UNSPSC. Ein weiterer erwartet die achtstelligen Nummern mit einem Bindestrich nach jeder zweiten Zahl. Auch die Forderung nach der Klassifizierung ETIM war in der Vergangenheit Thema. Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Anforderungen Ihrer Kunden? Dieser Beitrag zeigt Ihnen die Hintergründe.
Was sind Klassifizierungen und wie sind diese aufgebaut?
Ziel einer Produktklassifizierung ist es, produktbezogene Informationen in eine einheitliche Struktur zu bringen. Dadurch wird ein transparenter Überblick geschaffen. Datennutzer können Produktdaten leichter vergleichen. Außerdem vereinfachen Klassifizierungen den Austausch von Daten zwischen Herstellern, Großhändlern und Endkunden. Auch in Einkaufssystemen wie E-Marktplätzen oder E-Procurement-Systemen helfen Klassifizierung bei der Automatisierung von Geschäftsprozessen.
Am Markt haben sich verschiedene Standards entwickelt. Der Standard ECLASS hat sich in der verarbeitenden Industrie im europäischen Raum durchgesetzt. Die Klassifizierung UNSPSC ist vor allem bei Unternehmen vertreten, die aus Amerika stammen oder dort Schlüsselkunden besitzen. ETIM wurde von und für Unternehmen aus der Elektrotechnik entwickelt. Darüber hinaus gibt es auch kundenspezifische Klassifizierungssysteme.
Klassifizierung-Systeme bestehen aus zwei Bausteinen. Der eine Baustein ist die Produkteinordung in eine Warengruppenstruktur. Der andere Baustein ist die Vereinheitlichung von Produktmerkmalen. Um dies zu verdeutlichen, sehen wir uns einen Schlosserhammer im Kontext der jeweiligen Systeme an. Dieser besitzt folgende Produkt-Merkmale:
- Gewicht Hammerkopf: 300g
- Material Stiel: Hickory bzw. Holz
- Hersteller: Peddinghaus
- Stielschutzhülse vorhanden: Ja
Der Schlosserhammer in der ECLASS
In der ECLASS in Version 6.1 ist der Schlosserhammer mit Nummer 21-04-09-15 in der Warengruppenstruktur zu finden. Diese Einordung kann sich in unterschiedlichen Versionen unterscheiden. Die Warengruppenstruktur der ECLASS ist in vier Ebenen aufgeteilt. Die 21 gibt an, dass es sich um den Bereich Betriebsausstattung, Werkstatteinrichtung und Werkzeuge handeln. Die Untergruppe 21-04 sagt aus, dass es sich um Handwerkzeuge handelt. Wie diese Logik verwendet wird, zeige ich Ihnen später in den Praxis-Fällen.
In der ECLASS ist auch die Klassifizierung nach Merkmalen vorgesehen. Im Unterschied zu ETIM ist dies eine KANN-Information. Das bedeutet, dass die Produktdaten auch ohne Produkt-Merkmale im ECLASS-Standard valide sind.
Für unseren Schlosserhammer in 21-04-09-15 sind folgende Merkmale vorgesehen:
- Material des Stiels
- Vorgegebene Werte
- Esche
- Fiberglas
- Hickory
- Gummi
- Stahlrohr
- Holz
- Vorgegebene Werte
- Stielschutzhülse vorhanden
- Länge
- Marke
- Herstellername
- GTIN
- Lieferantenname
Der Schlosserhammer in der UNSPSC
Der United-Nations-Standard-Products-and-Services-Code (kurz UNSPSC) ist das Klassifizierungssystem der United Nations. Aktuell wird der Fokus auf den Baustein Warengruppenstruktur gelegt. Den Schlosserhammer können wir unter 27-11-16-02 finden. Wie die ECLASS Warengruppenstruktur besteht die UNSPSC aus vier Ebenen.
Der Schlosserhammer in der ETIM
ETIM legt den Schwerpunkt auf den Baustein der Produktmerkmale. Anders als die Standards ECLASS oder UNSPSC die vor allem für die Warengruppenstruktur verwendet werden. Die ETIM standardisiert die Merkmal-Bezeichnung wie den Merkmal-Wert. Am Beispiel unseres Schlosserhammers sieht die ETIM 9.0 folgende Produktklassifizierung vor:
- Warengruppe: EC000161 = Hammer/Fäustel
- Merkmal-Bezeichnung: EF000010 =Ausführung
- Merkmal-Wert: EV004530= Schlosserhammer
- Merkmal-Bezeichnung: EF001812 = Werkstoff des Stiels
- Merkmal-Wert: EV00131 = Holz
Wozu werden Klassifizierungen in der Praxis verwendet?
Nachdem wir uns die Funktionsweise angesehen haben, geht der Blick in die Praxisanwendung der Klassifizierung. Die Anwendungsfelder richten sich nach den Bedürfnissen der jeweiligen „Daten-Konsumenten“. Vielleicht werden Sie Anwendungsfälle entdecken, mit denen Sie nicht gerechnet haben. Denn das Finanzwesen wird mit Informationen aus ECLASS, UNSPSC oder ETIM anders umgehen, als der Einkauf oder der Vertrieb.
Folgende Fälle sehen wir uns genauer an:
- Organisation der Einkaufsverantwortlichkeiten
- Sortimentierung und Umsetzung der Einkaufsstrategie
- Kontierung im Finanzwesen
- Standardisierung von Produktdaten im Handel
- Einheitliche Klicks- und Menüstrukturen
Organisation der Einkaufsverantwortlichkeiten
Wir nehmen die Perspektive des strategischen Einkaufes ein. Dort sind eine Vielzahl von Lieferanten und Warengruppen zu organisieren. Je nach Unternehmensgröße sprechen wir hier von 1.000 bis 30.000 Lieferanten.
Wie schaffen wir eine klare Zuordnung eines Einkäufers oder Einkäuferin zu der jeweiligen Warengruppe? Da unser Unternehmen die ECLASS 6.1 bereits als MUSS-Information für Lieferant definiert hat, liegt die Information bereits vor. Diesen Standard machen wir uns für die Organisation der Einkaufsverantwortlichen zu nutze.
Unserer Kollegin, die für Handwerkzeuge verantwortlich ist, weisen wir alle Produkte zu, die sich in der ECLASS-Warengruppe 21-04 (Ebene 2) befinden. Dadurch gibt es eine klare Verantwortlichkeit unabhängig vom Lieferanten. Und es ergibt sich eine transparente Zuordnung.
Sortimentierung und Umsetzung der Einkaufsstrategie
Wir bleiben in der Perspektive des strategischen Einkaufs. Wir haben über eine Ausschreibung zwei Lieferanten für Handwerkzeuge gefunden. Diese Lieferanten vertreiben neben Handwerkzeuge weitere Warengruppen. Da diese Warengruppen bereits über Stammlieferanten abgedeckt sind, möchten wir das Sortiment auf Handwerkzeuge begrenzen.
Dazu geben wir vor, dass nur Artikel mit der ECLASS 21-04 (Ebene 2) in unser Einkaufssystem von coupa hochgeladen werden dürfen. Damit bilden wir den Inhalt unserer Ausschreibung ab und die Fachabteilung können auch nur diese Artikel bei den zwei Lieferanten bestellen.
Kontierung im Finanzwesen
Wir setzen in diesem Praxis-Fall die Brille des Finanzwesens auf. Um unserem Management ein Überblick über die Ausgaben zu geben wurde ein Kontenplan aufgebaut. In diesem Plan gibt es ein Konto mit der Bezeichnung „4812-Montage“. Darin sollen alle Befestigungsmaterialien, Hämmer und Schutzhelme verbucht werden.
In unserem Unternehmen bestellen die Fachabteilungen selbst. Im SAP-Ariba-Einkaufssystem soll bei jeder Bestellung die richtige Kostenstelle und Kontierung ausgewählt werden. Die meisten Besteller tun sich bereits bei der Wahl der passenden Kostenstelle schwer. Daher helfen wir als Finanzwesen und hinterlegen eine automatische Kontierung. Da unser Einkauf bereits die Produktklassifizierung UNSPSC einsetzt, nutzen wir diese Struktur für unsere Einstellungen. Die Kontierung für „4812-Montage“ ordnen wir der UNSPSC 27-11-16-02 zu. Auch die UNSPSC-Codes für Befestigungsmaterialien und Schutzhelme ordnen wir dieser Kontierung zu. Dadurch beschleunigen wir den Einkaufsprozess, helfen den Fachabteilungen bei der richtigen Auswahl und vermeiden eine falsche Kontierung.
Standardisierung von Produktdaten im Handel
In diesem Fall versetzen wir uns in die Perspektive eines Elektrogroßhändlers. Unser Portfolio nimmt an Breite und Tiefe zu. Zudem unterliegt unser Sortiment ständigen Veränderungen. Daher möchten wir unsere Produktdaten standardisieren. Das gilt auch für die Hämmer aus unserem Randsortiment.
Dazu greifen wir auf die Klassifizierung nach ETIM 9.0 zurück und fordern unsere Lieferanten auf nach diesem Standard zu arbeiten. Zum besseren Verständnis sehen wir uns den Unterscheid Produktdaten an, die ohne bzw. mit ETIM klassifiziert wurden. Bei dem Schlosserhammer könnte dies je nach Lieferanten wie folgt aussehen:
Werkstoff des Stiels ohne ETIM:
- Hickory
- Holz lackiert
- Esche
- Holzstiel
- Hickorystiel
Werkstoff des Stiels mit ETIM:
- EV000131 = Holz
Diese Produktdaten werden auch im unternehmenseigenen Online-Shop genutzt. Kunden, die nach Hämmern suchen, können nach dem „Werkstoff des Stiels“ filtern und dort „Holz“ auswählen. Als Ergebnis werden alle Hämmer mit einem Holzstiel gezeigt.
Ohne die Nutzung von ETIM würden wir unseren Kunden die Nutzung im Online-Shop erschweren. Denn nach welchem Wert soll gefiltert werden, wenn es eine Reihe verschiedener Werte in der Auswahl gibt, die eine ähnliche oder gleiche Bedeutung haben.
Einheitliche Klicks- und Menüstrukturen
Mit Klassifizierungen können einheitliche Kick- oder Menüstrukturen automatisch erzeugt werden. Um diesen Fall besser zu verstehen, sehen wir uns den E-Marktplatz von simple system an. Über simple system verkaufen ca. 850 Lieferanten über 80 Mio. Artikel. Jeder Lieferant hat seine individuelle Klickstruktur. Über die vierstufige Logik der Warengruppenstruktur in der ECLASS kann ein lieferantenunabhängiges Menü aufgebaut werden. Dazu werden Versionen ECLASS 5.1 oder ECLASS 7.1 verwendet. Der Kunde freut sich über eine aufgeräumte und einheitliche Logik.
Abschluss / Fazit / Tipps
Die Anforderungen an die Produktklassifizierung unterscheidet sich je nach „Daten-Konsument“. Weitere Einflussfaktoren auf die Wahl der passenden Klassifizierungen sind Branchen, geologische Ausrichtungen und Marktposition.
Für einkaufende Unternehmen sind z.B. ECLASS oder UNSPSC MUSS-Informationen, da diese für die Automatisierung von Geschäftsprozessen genutzt werden. Als Lieferant möchte ich verkaufen und habe daher diese Information an den Kunden zu liefern.
Für Lieferanten sind Produktklassifizierungen auch eine große Chance. Denn diese Strukturen helfen die eigenen Produktdaten zielgerichtet zu pflegen. Interne Geschäftsprozesse können optimiert werden und das Verständnis hilft im Vertrieb.
Wie die fünf dargestellten Praxis-Fälle zeigen, lohnt sich ein tieferer Blick in die Verwendung dieser Informationen bei Ihren Kunden. Neben einem besseren Kundenverständnis schaffst du die Grundlage für eine solide Entscheidung. Denn welche Klassifizierung in welchen Versionen und in welcher Pflegequalität zum Einsatz kommt, ist deine strategische Entscheidung. Nutze die Chancen, die eine Produktklassifizierung bietet.
Über den Autor – Peter Prütting
Peter Prütting ist Teamplayer, MTBiker und E-Business-Experte. Seit 10 Jahren verhilft er Lieferanten zur Erhöhung von Kundenbindung und Steigerung des Online-Umsatzes. Weggefährten beschreiben ihn als kundenzentriert und fokussiert. Seine Themen sind Strategie, Produktdaten, Katalogerstellung und Organisation.
Vielen Dank für deinen fachkundigen Gastbeitrag zum Thema Produktklassifizierung, Peter!
Weitere Informationen zu Peter Prütting und seinen Leistungen finden Sie zudem auf seiner Website und auf unserer nexoma-Partnerseite.
Quellen:
ETIM 9.0, Schlosserhammer: https://prod.etim-international.com/Class/Details?classId=EC000161&classVersion=9
ECLASS 6.1, Schlosserhammer: https://eclass.eu/eclass-standard/content-suche
UNSPSC, Hammer: https://www.unspsc.org/